Only Lovers Left Alive

Ein Vampirfilm von Jim Jarmusch würde nicht einfach bloß ein weiterer Fantasiestreifen über Blutsauger sein. Das war schon vorher klar. Dass aber scheinbar so gut wie kein einziger Kritiker auch nur ansatzweise verstanden hat, worum es wirklich geht und was für ein Werk der Kult-Regisseur mit „Only Lovers Left Alive“ da geschaffen hat, hat mich wirklich überrascht.

So unwirklich die düstere Existenz von Vampiren für Menschen aus der realen Welt ist, so fremd und unerreichbar scheint dem geneigten Durchschnittszuschauer das wirkliche Leben von Musikern, vornehmlich von Rockmusikern, zu sein.

Jim Jarmusch ist ein Musik-Nerd

Natürlich hat der ein oder andere Filmkritiker erkannt, dass Jim Jarmusch ein Musik-Nerd ist und schon früher mit Musikern wie Tom Waits oder RZA und GZA vom Wu-Tang Clan als Schauspieler zusammengearbeitet hat, dass er für „Only Lovers Left Alive“ mit seiner eigenen Band Sqürl Musik für den Soundtrack beigesteuert hat, und dass die männliche Hauptfigur Adam ja schließlich auch einen Rockstar verkörpert, dessen Welt sich wie die Vinylschallplatte nur um Musik dreht und der rare Vintage-Gitarren sammelt, die in echter Liebhaberei ausgiebig vorgestellt werden.

Der tiefe Blick hinter die Kulissen des Rockbiz

Aber Jim Jarmusch dringt auf den zweiten Blick viel tiefer in die Welt des Musikmachens und Musikschaffens ein – mit all seinen schönen und all seinen schlimmen Seiten. So nah und wahrhaftig hat das vielleicht noch niemand vor ihm gezeigt. „Only Lovers Left Alive“ ist ein Film über das Rockbiz und steckt in seiner für Jarmusch typischen Bildgewalt voller Analogien.

Musiker sind Nachtgestalten

Am nahe liegendsten ist natürlich die Tatsache, dass Musiker zu einem großen Teil nachts arbeiten, abgeschnitten von der Gesellschaft und vom Treiben bei Tageslicht, was manchmal durchaus auch ein Gefühl der Einsamkeit aufkommen lässt, vor allem, wenn man sich im Heimstudio vergraben hat und sich zum Komponieren quasi in einen „Tunnel“ begibt. Begegnungen gibt es in diesem Momenten eher mit anderen Nachtgestalten, die aber auch nur Träumer ihrer eigenen Welt sind.

Ein Rockstar, der privat gerne seine Ruhe haben möchte, muss sich unauffällig bewegen – wie Vampire. Freaks und fanatische Fans haben dafür in der Regel leider kein Verständnis.

Kreativität und Burnout

Adams „Lebensmüdigkeit“ steht am Ende eines anstrengenden, kreativen Prozesses, mit dem Abschluss einer Komposition. Beim Musikmachen geht es darum, Emotionen zu transportieren. Für viele Musiker ist die Schöpfung von Musik eine äußerst persönliche Angelegenheit, und die Arbeit an einem Album kostet viel Kraft. Nicht selten fallen Musiker danach in ein Loch oder verspüren eine große Leere und Kraftlosigkeit.

Das Klischee der Wahrheit

Die Darstellung wie sich die Vampire in Jarmuschs Film mit Blut versorgen und welche Wirkung die Einnahme des lebenswichtigen Elixiers auf sie hat, gleicht einem Rauschzustand nach der Einnahme von Drogen. Ein Klischee, das sich in der realen Welt der Rockmusik nicht gerade selten erfüllt.

Die Liebe zu besonderen Instrumenten ist allgegenwärtig. Für Musiker, die stets auf der Suche nach einem ganz eigenen Sound sind, mit dem sie sich von anderen unterscheiden, ist das schlicht ein Teil ihrer Arbeit – natürlich auch eine Leidenschaft bis hin zur Obsession, ohne die es den Mythos „Stradivari“ zum Beispiel nicht geben würde.

Der Kuss der Muse

Eve ist nicht einfach nur Adams Ehefrau. Sie ist seine Muse. Sie inspiriert ihn und lässt ihn in Ruhe arbeiten. Sie holt ihn aber auch auf den Boden der Tatsachen zurück, erdet ihn so notwendig, wie der Strom von Nikola Tesla, und rettet ihn vor dem Abdriften in das große Nichts, dem endgültigen Energieverlust.

Kaum ein Musiker hat sich nicht schon die Frage gestellt, was seine Arbeit eigentlich für einen Sinn hat und welchen Unterschied es für die Welt schon macht, ob es seine Musik gibt oder nicht. Eine Muse wie Eve versteht das. Wenn wenigstens sie ihm sagt, wie sehr sie seine Musik liebt, dann hat Adam einen Grund weiterzumachen und weiterzuleben.

Was ist da passender als tiefer, deprimierend epischer Rock?

Das heruntergekommene Detroit, die „Motor City“, steht nicht bloß für sich selbst und dem Ende der großen Ära des Autobaus. Die menschenleere Stadt ist ein Sinnbild für das Ende des großen Zeitalters der Wertschätzung von Musik im Allgemeinen. Keine Menschen, keine Hörer, keine Fans, keine Käufer, kein Geld. Eine verlottertes Haus, in dem sich Adam in seinem Heimstudio den Arsch und seine untote Seele abspielt – und dann wird er auch noch beklaut und darf sich seine Musik bereits im nächsten Club anhören, noch bevor die Songs überhaupt vollendet, geschweige denn veröffentlicht wurden. Sie lieben seine Musik, aber kaufen werden sie sie nicht.

Eves Schwester Ava verkörpert das junge Groupie-Chick, das sich gerne mit Adams Musik schmückt, aber sein Schaffen gar nicht versteht und in ihrem Vergötterungswahn auch noch die für Musiker wichtige Nabelschnur zur Musikindustrie kappt, in dem sie mit Ian Adams Verbindung zu Tageswelt vernichtet.

Ein Leben ohne Musik

Allgegenwärtig ist Jim Jarmuschs Kritik am Umgang mit den Errungenschaften der Kulturschaffenden bis zum Ende des Films. Ob das Musikgeschäft am Boden liegt oder nicht, neue Musik wird es immer geben. Im Film erscheint sie in Form der betörenden Sängerin Yasmine Hadam, deren Talent Adam und Eve sofort erkennen. Sie wird es sehr schwer haben, von ihrer Musik leben zu können. So schwer, wie es für Adam und Eve geworden ist, ihre Blutversorgung zu sichern. Doch am Ende findet sich ein Weg.

av 25.12.2013


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